09.04.2013
09.04.2013
München, 09. April 2013 - Ist unsere Freiheit in Gefahr, weil die Politik immer mehr Lebensbereiche reguliert? „Eindeutig ja“, warnt Professor Dr. Daniel Zimmer (Foto), Vorsitzender der Monopolkommission und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics der Universität Bonn. Mit seinem neuen Buch „Weniger Politik!“, erschienen im Verlag C.H.BECK, regt der Jurist zur Debatte an, über die Regulierungswut der Politiker und die Frage nach Gerechtigkeit. Wir sprachen mit ihm.Herr Professor Zimmer, viele Menschen wären froh, wenn die Politik in Deutschland endlich wieder mehr bewegen würde. Sie fordern stattdessen weniger Politik. Wie ist das zu verstehen?
Die Politik bestimmt schon heute sehr weitgehend das Leben der Menschen: Sie legt fest, welche Glühbirnen wir kaufen, zu welchen Löhnen wir im Zeitarbeits-, im Dachdecker- oder im Pflegebereich arbeiten dürfen und welche Maße eine Banane haben muss. Antidiskriminierungsvorschriften bewirken, dass Versicherungen Männern und Frauen keine unterschiedlichen Tarife mehr anbieten dürfen, auch wenn die Risiken bei den Geschlechtern unterschiedlich sind. Die Politik erobert auf diese Weise immer weitere Lebensbereiche und schränkt damit die Freiheit immer weiter ein.
Aber zeigen nicht gerade Beispiele wie die Finanzkrise oder die momentan etwas aus dem Blick geratenen Spritpreise, dass mehr staatliche Regulierung dringend notwendig wäre?
Im Finanzsektor ist – wie man seit der Bankenkrise von 1931 weiß – eine Regulierung erforderlich, und die war vor Ausbruch der jüngsten Krise in mehreren Hinsichten mangelhaft. An der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass zuviel unkritischer Marktglaube schädlich sein kann. Im Moment bewegt sich die Gesellschaft in Richtung des anderen Extrems: In Richtung auf ein grenzenloses Staatsvertrauen. Die Politik nimmt das gesteigerte Vertrauen gerne an und beglückt uns mit ständig neuen Regelungen. So auch im Benzinsektor, den Sie angesprochen haben. Hier wird jetzt eine „Markttransparenzstelle“ mit zahlreichen Beamten eingerichtet, die das tun sollen, was bisher private Internetportale für interessierte Bürger geleistet haben: Die aktuellen Benzinpreise der Tankstellen ermitteln.
Sie thematisieren in Ihrem Buch auch stark die Frage der Gerechtigkeit. Ein Aspekt, der im Bundestagswahlkampf ebenfalls eine große Rolle spielt.
Ich halte es für eine großartige Errungenschaft, dass in Deutschland – anders als in vielen anderen Staaten – eine Grundsicherung besteht, die Menschen vor existenzieller Not bewahrt. Ich finde es auch richtig, dass Bürger mit einem hohen Einkommen stärker als solche mit einem niedrigeren Einkommen zur Finanzierung von Staatsaufgaben herangezogen werden. Zur Zeit kommt aber eine Gerechtigkeitsdebatte auf, die mir unheimlich ist. Politiker fordern mehr „Gerechtigkeit“, ohne deutlich zu sagen, was sie damit meinen: Sollen wie bisher die wirtschaftlich Leistungsfähigeren stärker zur Finanzierung von Staatsaufgaben beitragen, oder soll die Umverteilung als solche zur Staatsaufgabe erklärt werden?
Lässt sich Gerechtigkeit denn überhaupt erreichen, oder versprechen uns die Politiker hier zuviel?
Wer sich näher mit konkreten Fragen der Gerechtigkeit beschäftigt – erfolgsabhängige Managergehälter, einkommensabhängiges Elterngeld, Höhe von Steuersätzen usw. – wird bald ernüchtert sein: Jeder weiß, was er für „gerecht“ oder „ungerecht“ hält, aber objektive Maßstäbe für eine Bestimmung von Gerechtigkeit existieren in diesen Zusammenhängen nicht. Das wussten schon frühere Generationen: Der langjährige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard – für viele der Vater des deutschen Wirtschaftswunders – hat erklärt, er spreche „Gerechtigkeit“ nur in Anführungszeichen aus, da mit keinem Wort soviel Missbrauch getrieben wird wie mit diesem. Deshalb denke ich in der Tat, dass unsere heutigen Politiker besonders in Wahlkampfzeiten mehr an „Gerechtigkeit“ versprechen als sie halten können.
Sie kommen in einem Kapitel zu dem Ergebnis, dass Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit in unserem Sozialstaat erfüllt seien, auch bei Hartz IV-Empfängern. Viele sehen das anders.
Es ist aufschlussreich, sich mit der Herkunft des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit zu beschäftigen. Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit kamen zuerst im 19. Jahrhundert auf. Sie stellten eine Reaktion auf unmenschlich erscheinende Lebens- und Arbeitsverhältnisse dar. Friedrich Engels und andere Zeitgenossen haben eindrucksvoll beschrieben, in welcher Weise schwere Kinderarbeit und gesundheitsgefährdende Erwachsenenarbeit zum Beispiel im Bergbau an der Tagesordnung waren. Menschen, die daran zugrunde gingen, waren oft Siechtum und Hunger ausgesetzt. Wir können uns glücklich schätzen, diesen gesellschaftlichen Zustand seit langem überwunden zu haben. Zugleich wecken solche Schilderungen aus der Zeit, in der die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit aufkam, Zweifel daran, dass heute wirklich von einer „sozialen Schieflage“ gesprochen werden kann.
Und wie steht es um die Gerechtigkeit angesichts der teilweise horrenden Managergehälter?
Besondere Aufregung hat die 17-Millionen-Euro-Vergütung des VW-Chefs Martin Winterkorn für das Geschäftsjahr 2011 ausgelöst. Es ist leicht auszurechnen, dass der Vorstandsvorsitzende hier weit mehr als das Zweihundertfache des Durchschnittslohns in seinem Unternehmen erhalten hat. Das kann evident ungerecht erscheinen. Aber gilt diese Bewertung auch dann noch, wenn in Rechnung gestellt wird, dass der Konzerngewinn im gleichen Jahr mehr als 18 Milliarden Euro betrug? Anders gewendet: Ist es eindeutig unverhältnismäßig, wenn die – weitgehend erfolgsabhängig gestaltete – Vergütung des Vorstandsvorsitzenden ein knappes Tausendstel des erzielten Gewinns beträgt?
Noch mal zurück zum Staat. Sehen Sie denn auch Bereiche, deren Regelung unbedingt in der öffentlichen Hand verbleiben sollte?
Die innere und äußere Sicherheit, die Sorge für Bildungseinrichtungen, die Schaffung und Unterhaltung öffentlicher Verkehrswege – das sind Beispiele für Leistungen, die ohne staatliches Engagement nicht oder nicht in der erforderlichen Weise gewährleistet werden könnten. Die Sicherung der Menschen vor existenzieller Not, die ich in meinem Buch als eine Kulturleistung ersten Ranges bezeichne, erscheint als eine zentrale Staatsaufgabe. Die Liste ließe sich fortsetzen. Aber: Umverteilung als solche – um der Umverteilung willen – erscheint mir nicht als eine legitime Aufgabe des Gemeinwesens.
Vielen Dank für das Gespräch.
Buchtipp: Zimmer, Weniger Politik!, Verlag C.H.BECK, 2013, ISBN 978-3-406-65095-6, Euro 19,80
Nachdruck des Interviews erlaubt. Für einen eigenen Interviewkontakt mit dem Autor sprechen Sie uns gerne an.
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