"Die Knigge-Kur" - Interview mit Kai Oppel

04.11.2015

C.H.BECK: Herr Oppel, Sie haben bereits zahlreiche Ratgeber zum Thema Benimmregeln verfasst. Wie entstand Ihr aktuelles Buch „Die Knigge-Kur“? Oppel: Die Knigge-Kur zu schreiben, war mir ein Bedürfnis. Knigge ist in den vergangenen Jahren zu sehr auf das Thema Benimmregeln beschränkt worden. Ich habe Kniggebücher geschrieben, aber keine Benimmratgeber. Das neue Buch entstand nicht zuletzt heraus aus genau dieser Erkenntnis. Knigge ist mehr, als bei dem was man tut, eine gute Figur zu machen.

C.H.BECK: Wie erklären Sie sich, dass wir eine „Knigge-Kur“ benötigen? Ab wann sollten wir eine „Knigge-Kur“ in Erwägung ziehen?

Oppel: Wir sind immer mobiler, immer digitaler und immer erreichbar. In vielen Lebensbereichen sind wir komplett von äußeren Faktoren abhängig und versuchen, den ganzen Irrsinn zu meistern. 10 Termine am Tag! Die ganze Zeit klingelt das Handy! Hunderte e-Mails! Zugfahrten! Flüge! Und so weiter. Es kann doch nicht darum gehen, bei diesem Wahnsinn möglichst perfekt auszusehen und Karriere zu machen. Daher führt die Knigge-Kur zurück zum Ursprung. Zu Knigge. Zur Aufklärung. Zur Mündigkeit. Die Knigge-Kur ist für alle, die sich trotz der vielen Möglichkeiten in Bezug auf IT und Mobilität nicht freier fühlen sondern gefangener. Die Knigge-Kur hilft, sich wieder auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren – und nicht auf falsche Benimmregeln. Das ist der wahre Knigge. Frei sein. Selbständig denken und handeln.

C.H.BECK: Können Sie uns die gravierendsten Knigge-Verstöße in der heutigen Arbeitswelt nennen?

Oppel: Ich möchte nicht länger den Menschen sagen, ob sie die Spagetti mit Löffel und Gabel essen müssen oder wie der Krawattenknoten zu binden ist. Natürlich sind diese Dinge wichtig. Natürlich geht’s in der neuen Knigge-Kur auch ein wenig darum. Vor allem aber geht es um den größten Verstoß: Nicht mehr zu wissen, wer man selbst ist – weil man nur noch durch gutes Benehmen gefallen will. Natürlich zeugt es nicht von gutem Benehmen, drei Stunden im Zug laut über Firmeninterna zu telefonieren (ich frage mich, welchen Netzbetreiber diese Nervensägen haben, um überhaupt störungsfrei so lange mobil telefonieren zu können). Viel schlimmer ist doch aber, dass wir durch all die Ablenkung und Effizienz unsere Aufmerksamkeit verlieren. Wir sind nicht mehr bei der Sache.

C.H.BECK: In Ihrem Werk sprechen Sie auch das Thema Burn-Out an. Inwiefern hat dieses etwas mit dem Knigge zu tun?

Oppel: Burnout hat viele Faktoren wie Stress und Perfektionswahn. Wenn Knigge auf Benimmregeln reduziert wird, können die zu Stress führen. Stress, möglichst viel zu schaffen, effizient zu sein und dabei stets alles richtig zu machen. Vor allem führen die Dauererreichbarkeit und die Informationsflut dazu, dass viele Menschen nicht mehr abschalten können. Darunter leidet die Konzentration. Es fehlt an Erholungsphasen. Wer nach Pseudoknigge fehlerfrei 365 Tage im Jahr dauerkommuniziert, wird sich früher oder später selbst einweisen können.

C.H.BECK: Geben Sie in Ihrem Ratgeber auch Tipps zu klassischen Knigge-Themen?

Oppel: Wie gesagt, es geht sicher nicht ohne die Klassiker. Insofern geht’s auch klassische Tugenden wie Pünktlichkeit oder Verlässlichkeit. Ich versuche jedoch, die in einem neuem Licht zu betrachten. Zudem gibt’s auch klassische Tipps. Die Mischung machts!

C.H.BECK: Inwieweit wird die Digitalisierung unser Berufsleben in den nächsten Jahren weiter verändern?

Oppel: Sie tut es ja bereits. Es wird schneller, vernetzter, nachvollziehbarer, vorhersehbarer. Ein riesiges Kniggethema. Aber eben nicht allein nach dem Motto: Wie mache ich auf Xing eine gute Figur? Vielmehr wird die digitale Mündigkeit eine Rolle spielen. Kontrolle über eigene Daten. Vorhersehbarkeit des Handelns. Knigge hat schon damals davor gewarnt, den eigenen Verstand aufzugeben und bequem zu sein. Schauen Sie unsere Smartphone-Generation an. Ohne Handy sind viele nicht mehr in der Lage, ihre Position zu bestimmen, ein Taxi zu rufen oder das Wetter vor der Haustür zu bestimmen. Ich bin mir sicher: Knigge dreht sich im Grab herum, wenn er auf uns blickt.

C.H.BECK: Welche Tipps haben Sie für mehr Beziehungsorientiertheit in der Geschäftswelt? Oppel: Ich wünschte, ich könnte mit dem Buch etwas in diese Richtung erreichen. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, als ich durch Deutschland eine Welle der Hilfsbereitschaft ging, um Flüchtlinge zu unterstützen. Es geht um Beziehungsorientiertheit überhaupt, nicht nur im Geschäftsleben. Die Nachrichtenagenda hatte die vergangenen Jahre Glauben gemacht, es gäbe nur noch das Geschäft. Immobilienkrise. Bankenkrise. Eurokrise. Griechenlandkrise. Geld. Geld. Geld. Wir werden uns die Frage stellen müssen, ob wir in einer Welt leben wollen, wo es nur noch um Abschlüsse und Geld geht. Knigge ist eine Identitätsfrage. Geld wird nicht identitätsstiftend sein.

C.H.BECK: Welchen Stellenwert nehmen Menschlichkeit und Toleranz bei Ihrer Knigge-Kur ein?

Oppel: Ich beleuchte die Themen genau vor dem geschilderten Hintergrund. Wir dürfen Dinge nicht losgelöst betrachten. In der Kniggekur geht es um die neue Nachhaltigkeit. Und ohne Menschlichkeit und Toleranz kann es auf Dauer kein nachhaltiges Handeln geben.

C.H.BECK: Was verstehen Sie unter der „neuen Originalität“?

Oppel: Knigge sagte einst in etwa, niemand solle von einem gehen, ohne nicht etwas Schlaues gesagt zu haben. Heute wird allzuoft nur noch nachgeplappert. Diese ganze Flut von Pseudoinformationen, mit denen sich viele Businesskasper wichtigmachen. Originalität ist für mich, die Informationen durch sein eignes Prisma zu brechen. Nur so kann etwas Neues entstehen.

C.H.BECK: Welche Punkte sollten wir an unserer Kommunikationskultur dringend ändern? Oppel: Mehr zuhören. Und: weniger ist manchmal mehr. Vor dem Hintergrund wird es Zeit, das Interview zu beenden.

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