01.02.2022
01.02.2022
Mit dem Verschwinden des Börsenkürzels „DAI“ für Daimler aus dem DAX am 1. Februar 2022 geht eine Ära zu Ende. Bereits am 1. Oktober 2021 war in der virtuellen Hauptversammlung der Daimler AG die Aufteilung des Konzerns in zwei rechtlich und wirtschaftlich selbständige Aktiengesellschaften beschlossen worden. Was sind die Ursachen für diesen spektakulären Zerfall eines der erfolgreichsten und ältesten Industrieunternehmen Deutschlands? Wie ist die neue strategische Ausrichtung des Konzerns zu bewerten? Und wie sind die Zukunftsaussichten, insbesondere für das PKW-Geschäft in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen im Automobilmarkt?
Dr. Willi Diez, Professor für Automobilwirtschaft an der Hochschule Nürtingen und langjähriger Leiter des renommierten Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) beschreibt und analysiert in seinem Buch „Verlorene Größe – Neue Horizonte. Das Ende von Daimler?“ die Entwicklung des Konzerns in den letzten 40 Jahren.
Interview mit Prof. Dr. Willi Diez zu seinem neuen Buch „Verlorene Größe – Neue Horizonte. Das Ende von Daimler?“
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit den Ursachen für das Ende eines Konzerns, den es seit beinahe hundert Jahren gab und der stets den Ruf eines der erfolgreichsten Unternehmen Deutschlands genossen hat.
Prof. Dr. Willi Diez: Richtig. Das Unternehmen entstand 1926 durch den Zusammenschluss der Daimler Motorengesellschaft und der Benz Automobil- und Motorenfabrik. Diese Ära geht nun tatsächlich zu Ende. Begonnen hat die Auflösung der Daimler AG allerdings meiner Meinung nicht mit der Aufteilung in zwei Aktiengesellschaften im letzten Oktober, sondern bereits mit dem Niedergang des Konzerns Anfang der 1980er Jahre. Es gab viele Versuche, diese Entwicklung umzukehren, aber das ist nie gelungen.
Im Grunde bedeutet die unter Ola Källenius eingeleitete Wende, insbesondere die strategische Ausrichtung des PKW-Geschäfts auf das Luxussegment, eine Rückkehr zum Jahr 1980. Damals hat die Marke Mercedes-Benz über eine weltweit einmalige Stellung im Automobilmarkt verfügt. Aber es ist fraglich, ob die Mercedes-Benz AG mit ihrer Rückwendung auf das Luxussegment heute zu neuer, substanzieller Größe geführt werden kann.
Was sehen Sie als Gründe für den Verlust der Ausnahmestellung der Daimler-Benz AG im Kreis der weltweiten Automobilhersteller?
Diez: Ich bin der Meinung, dass sich vor allem die massive Ausweitung der Produktionskapazitäten im PKW-Geschäft Anfang der 1980er Jahre als verhängnisvoll erwiesen hat. Damit ist die über Jahrzehnte außergewöhnliche Profitabilität des Geschäftsfeldes untergraben worden. Dann kam der fehlgeschlagene Versuch aus Daimler einen „integrierten Technologiekonzern“ zu machen, der viel Geld und Reputation gekostet hat. Schließlich ist auch die Strategie aus Daimler eine „Welt AG“ zu machen gescheitert, was erneut zu erheblichen finanziellen Belastungen und einem riesigen Imageschaden geführt hat.
In Ihrem Buch gehen Sie aber nicht nur auf die Fehler ein, sondern beschreiben auch detailliert die Erfolge unter Dieter Zetsche.
Diez: Richtig. Dieter Zetsche hat mit einer Produktoffensive und der Erschließung des chinesischen Marktes ab dem Jahr 2012 eine in der Geschichte des Unternehmens beispiellose Wachstumsphase im PKW-Geschäft eingeleitet. Unter seiner Führung ist Mercedes-Benz wieder zur meistgekauften Premiummarke weltweit geworden.
Allerdings ist auch er mit seiner Vision, aus Daimler einen „Mobilitätskonzern“ zu machen, gescheitert. Sein Ziel, im Rahmen der von ihm als besonders zukunftsrelevant eingeschätzten Technologiefelder Konnektivität, autonomes Fahren, Shared Services sowie Elektromobilität eine führende Position einzunehmen hat sich, gemessen an den finanziellen Möglichkeiten des Konzerns, als zu ambitioniert erwiesen. Vor allem nachdem auch Daimler vom Diesel-Skandal erfasst wurde war klar, dass Daimler nicht mehr die Kraft hatte, das anspruchsvolle Strategieprogramm CASE in seiner ganzen Breite umzusetzen.
Die Konsequenzen musste dann sein Nachfolger Ola Källenius tragen?
Diez: Meiner Einschätzung nach war Källenius angesichts der in den letzten Amtsjahren von Zetsche dramatisch gestiegenen Ausgaben für Forschung und Entwicklung gezwungen die Reißleine zu ziehen und die Ausgaben für Zukunftsprojekte durch Kooperationen mit anderen Unternehmen zu begrenzen. Auch die Kostensenkungsprogramme, die von ihm initiiert wurden, sind angesichts der sich dramatisch verschlechternden Finanzlage des Unternehmens zwingend notwendig gewesen.
Wie würden Sie also die Zukunft von Daimler beurteilen?
Diez: Da gibt es einige Fragezeichen. Die „Strategie in den Luxus“ erfordert eine völlige Umstellung des bisherigen, auf das Massengeschäft ausgerichteten Geschäftsmodells. Um als Luxusmarke wahrgenommen zu werden, müsste man nicht nur ausgezeichnete, qualitativ hochwertige Produkte anbieten, sondern zur Sicherstellung einer hohen Exklusivität auch die Absatzmenge begrenzen und damit möglicherweise auch Kapazitäten abbauen. Da bereits der Trend in die Elektromobilität Beschäftigung kostet, sehe ich auf die Mercedes-Benz AG da weitere Beschäftigungsprobleme zukommen. Ich bezweifele, ob die Fokussierung auf Luxusfahrzeuge durchgehalten werden kann, wenn die Absatzzahlen von Mercedes-Benz dauerhaft hinter die von BMW und Audi zurückfallen sollten.
Und was ist mit der Trennung zwischen PKW- und LKW-Geschäft?
Diez: Darin liegt natürlich eine Chance. Vor allem wird es darum gehen, dem LKW-Geschäft eine Kostenstruktur zu verpassen, die dem brutalen Wettbewerb in diesem Markt gerecht wird. Andererseits gibt es heute so viele Querschnittsthemen zwischen den beiden Geschäftsbereichen wie es sie in den letzten 40 Jahren nicht gegeben hat. Alternative Antriebskonzepte, also Elektromobilität und Wasserstoff, die Digitalisierung der Produkte und das autonome Fahren sind große Herausforderungen sowohl bei PKW wie auch Nutzfahrzeugen. Diese Synergien werden jetzt aufgegeben.
Und wie steht es mit einer Übernahme von Mercedes-Benz durch ausländische Investoren?
Diez: Das halte ich für durchaus möglich. Nach wie vor ist die Strahlkraft der Marke hoch. Ich sehe eine Übernahme auch nicht unbedingt als Schreckensszenario. Jeder Investor wäre daran interessiert, die Marke Mercedes-Benz zu stärken und nicht zu schwächen. Allerdings würden dann gerade die deutschen Produktionsstandorte auf den Prüfstand kommen.
Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch mit über zwanzig Jahren Firmengeschichte und waren selbst zwölf Jahre lang Teil dieses Konzerns.
Diez: Ja, da entsteht natürlich eine gewisse Verbundenheit. Allerdings ist mir wichtig, dass mein Buch „Verlorene Größe – Neue Horizonte“ nicht nur eine Unternehmensdarstellung, sondern auch eine Studie über Management und Managementmethoden ist, aus der viele andere Unternehmen ebenfalls lernen können. Die von mir behandelte Geschichte von Daimler zwischen 1980 und 2021 ist schließlich nicht nur eine Geschichte von Irrtümern und Fehlern, sondern auch von vielen verpassten Chancen. Daimler war zum Beispiel einer der ersten Automobilkonzerne, der sich bereits früh und intensiv mit alternativen Kraftstoffen und Antriebstechnologien, wie etwa der Brennstoffzelle beschäftigt hat. Auch auf dem Gebiet des Verkehrsmanagements und innovativer Mobilitätskonzepte hat Daimler immer wieder von sich Reden gemacht. Dann hat aber oft der lange Atem gefehlt, um die teilweise vielversprechenden Ansätze zu marktreifen Produkten und Dienstleistungen weiterzuentwickeln. Daimler hat es nicht geschafft, sich in neuen Geschäftsfeldern und Technologien eine nachhaltige Führungsposition zu erobern und so über die Jahrzehnte hinweg seine alte Größe verloren. Jetzt stehen die beiden verbliebenen Geschäftsbereiche vor einer unsicheren Zukunft.
Willi Diez,
Verlorene Größe – Neue Horizonte. Das Ende von Daimler?,
Verlag Franz Vahlen, München
2022, 507 Seiten, Hardcover
€ 34,90 [D], ISBN 978-3-8006-6719-2
Zum Abdruck frei. Belegexemplare erwünscht.
Gerne vermitteln wir für Interviews den Kontakt zum Autor.
Für Verlosungsaktionen stellen wir Exemplare des Buches zur Verfügung.