04.12.2024
Sitzen schon im Grünen: Prof. Dr. Rupprecht Podszun (links, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf) und
Prof. Dr. Tristan Rohner (Bucerius Law School) mit ihrem neuen Buch zur Nachhaltigkeit.
04.12.2024
Klimaschutz, ESG, Lieferkettengesetz, Sustainable Finance, Kreislaufwirtschaft, Greenwashing: Nachhaltigkeit wird zu einem immer wichtigeren Thema für Wirtschaft und Gesellschaft. Welche Rolle spielt das Recht dabei? Wir sprachen mit Prof. Dr. Rupprecht Podszun und Prof. Dr. Tristan Rohner, die gerade ein Buch dazu geschrieben haben.
Das Wort „Nachhaltigkeit“ begegnet einem in der Politik, in der Werbung, in Unternehmen und im Alltag dauernd. Was ist damit eigentlich gemeint?
Podszun: Das Prinzip ist alt und kommt aus der Forstwirtschaft – es ist nicht nachhaltig, mehr Bäume zu fällen als nachwachsen. Wer das tut, stellt den kurzfristigen Profit über die langfristige Tragfähigkeit seines Geschäftsmodells und bereichert sich auf Kosten der künftigen Generationen. Schon diese kleine Überlegung ist faszinierend, weil ökonomisch argumentiert wird, aber zugleich ökologische und soziale Ziele erreicht werden. In der Nachhaltigkeitsdebatte steckt also die Chance, wirtschaftliches Denken mit anderen Zielen, die uns wichtig sind, zu versöhnen. Bislang haben wir ja oft Wirtschaft und Ökologie als Gegensätze gedacht. Davon kommen wir weg.
Gibt es denn auch einen juristischen Begriff der Nachhaltigkeit?
Rohner: Das Wort wird inzwischen auch in Gesetzestexten verwendet, aber noch häufiger ist es eher der Impuls für Gesetzgebung. Dabei haben sich die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die UN Sustainable Development Goals, als internationale Vorgabe etabliert. Sie verwirklichen zwei Ideen: Kein Verhalten auf Kosten künftiger Generationen, das ist die intergenerationelle Dimension, und kein Verhalten auf Kosten jetzt lebender anderer Generationen, das ist die sogenannte intragenerationelle Gerechtigkeit. Oft sieht man von den UN-Zielen übrigens nur bunte Bildchen und Schlagwörter wie „Kein Hunger“. Dahinter steht aber eine ausgefeilte Mechanik von Unterzielen und Indikatoren.
Für Juristinnen und Juristen, gerade in Unternehmen und Kanzleien, bedeutet der Trend zur Nachhaltigkeit erst einmal eine Flut von neuen Gesetzen und Verordnungen.
Podszun: Das stimmt! Deshalb versuchen wir, in unserem Lehrbuch auch erst einmal grundlegende Begriffe und Konzepte zu erklären und dieses Feld zu systematisieren. Sonst blickt man wirklich kaum mehr durch. Die Gesetzesflut hat aber auch einen Grund: Wir sind in einem enormen wirtschaftlichen Umbruch. Unternehmen, die jahrzehntelang gut damit verdient haben, fossile Brennstoffe zu verfeuern, müssen sich auf net zero einstellen. Wer auf billige Produktion in Asien gesetzt hat, spürt jetzt, wie anfällig die Lieferkette ist. Wir zahlen den Preis dafür, dass wir jahrelang die Augen vor den Kosten dieses Raubbaus verschlossen haben.
Rohner: Juristisch hat das Bundesverfassungsgericht uns mit seinem Klimaschutzbeschluss in gewisser Weise die Augen geöffnet, wenn ich das Bild mal aufgreifen darf: Es ist ein Verfassungsgebot, die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu wahren. Auch der Green Deal der EU, auf den viele der Maßnahmen zurückgehen, dient diesem Ziel. Wir wollen gar nicht jede einzelne Nachhaltigkeits-Vorschrift verteidigen. Natürlich gibt es zu viel Bürokratie und manches, das zu wenig bringt. Aber die rechtliche Transformation ist unumgänglich – und richtig spannend!
Sie haben von einer Systematisierung gesprochen. Geben Sie uns doch mal einen Einblick!
Rohner: Wir haben uns erst einmal gefragt, was die neueren Gesetze eigentlich vom klassischen Umweltrecht unterscheidet, abgesehen davon, dass Nachhaltigkeit deutlich mehr umfasst als nur Umweltfragen. Der Kern ist der ökonomische Hebel: Es geht um eine wirtschaftliche Transformation. Gleichzeitig wird nicht nur klassisch „von oben“ interveniert, sondern es geht darum, die Anreize für unternehmerische Entscheidungen zu beeinflussen. Es gibt auch weiterhin konkrete Vorgaben, etwa wenn in der Ökodesign-Verordnung bestimmte Vorgaben für Produkte gemacht werden. Eine andere Kategorie von Regeln versucht aber verstärkt, den Marktmechanismus einzusetzen. Das sehen wir etwa beim Emissionshandel oder bei Sustainable Finance: Nachhaltigkeit durch Märkte, die durch Recht geschaffen werden. Und es gibt noch eine dritte Säule, die uns als Juristen besonders am Herz liegt…
Und die wäre?
Podszun: Recht ist ein stabiles System. Es ist über Generationen hinweg gedacht. Seine Institutionen und Verfahren sind darauf ausgelegt, unsere Errungenschaften in der Gesellschaft abzusichern. Das Recht selbst ist ein Nachhaltigkeitsfaktor. Und trotzdem sind wir in die Defensive geraten. In der Wirtschaft hat das Recht in manchen Bereichen seine Prägekraft verloren. Viele Standards, die wir im Nachhaltigkeitskontext kennen, sind nicht mehr rechtlich vorgegeben, sondern stellen Marktlösungen dar. Das ist in Ordnung, aber ein gewisses Warnzeichen für das Recht ist es doch. Wir haben uns vielleicht zu sehr auf die Besitzstandssicherung kapriziert und zu wenig in die Zukunft gedacht. Das Recht ist gut darin, den Status quo zu schützen. Es könnte aber auch gut darin sein, Transformationen zu beschleunigen.
Das klingt fast ein bisschen nach Revolution durch Recht, oder?
Podszun: Keine Sorge, wir stiften mit dem Lehrbuch sicher nicht zur Revolution an. Aber wir müssen uns natürlich schon fragen, ob die demokratischen Institutionen, der Rechtsstaat, unser juristisches Denken der Transformation gewachsen sind. Und das gilt übrigens für die digitale Revolution genauso wie für Sustainability.
Rohner: Es gibt da einfach ein Gap: Das Huaraz-Verfahren hängt seit 2015 in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit, Ende nicht absehbar. Darin geht es ja um die Klage eines peruanischen Bauern, der von RWE verlangt, sich an Schutzmaßnahmen zu beteiligen. Zugleich erhält RWE gemäß dem Kohleausstiegsgesetz 2,6 Mrd. Euro als Dank dafür, dass sie ihre umweltschädlichen Aktivitäten künftig unterlassen. Wir kommen beide aus dem Wirtschaftsrecht, wir sehen die Komplexität dieser Vorgänge. Aber wir verstehen schon auch, dass diese Diskrepanz nicht jedem einleuchtet. Da haben gerade diejenigen, die vom Modell der Sozialen Marktwirtschaft überzeugt sind, eine Aufgabe.
Viele Dank für das Gespräch!
Podszun/Rohner, Nachhaltigkeit und Recht
2024, XX, 352 Seiten.
Softcover, €39,80
ISBN 978-3-406-79422-3
Zum Link auf beck-shp.de
Foto oben: Quelle privat
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